Vom Verkehrsbericht, einer abgebrochenen Messerklinge, Chopin und einem russischen Ei
Freitag, 28. November 2014, 10:01
Heute sitze ich an der gegenüberliegenden Tischseite. Nicht an der Tischseite, an der ich sonst sitze. Ungewöhnlicherweise schaue ich gegen die weiße Wand, vor der ein Kühlschrank und ein alter kleiner Vorratsschrank steht. Auf diesem steht, verstaubt, eine Stereoanlage mit Schallplattenspieler. Mein geliebter Schallplattenspieler. Ein Relikt aus vergangenen Tagen und für mich jeden Tag wieder aufregend aktuell, weil ich mit ihm Klassik, Jazz und andere Musik höre. Lege eine alte Platte auf. Neben Knistern höre ich Frederic Chopin´s Konzert Nr. 1 in E-Moll gespielt vom New Symphonie Orchestra of London unter dem Dirigat von Stanislav Skrowaszewski mit Artur Rubinstein am Klavier. Eine Aufnahme von 1961. Heute morgen, während des Aufwachens, wünschte ich mir diese Musik. Nicht der Hunger nach Brot und Tee trieb mich dazu aufzustehen, sondern der Wunsch diese Musik möglichst sofort zu hören. Wen hat der Chopin wohl geliebt, oder was sonst hat ihn dazu gebracht, so etwas zu komponieren. Wen hat Rubinstein wohl geliebt und was hat Rubinstein dazu gebracht, das Konzert Nr. 1 in E-Moll genau so als Solist zu interpretieren. Wen hat das New Symphonie Orchestra of London wohl geliebt und was hat es dazu gebracht, so den Solisten in dem Konzert Nr.1 zu untertützen. War es etwa Stanislav Skrowaszewski, der Chopin so sehr liebt, das er seine Liebe weitergibt an Rubinstein und alle anderen, die da so mit machen? Wer auch immer wen und was liebt, jedenfalls habe ich mir den Wunsch nun erfüllt, dieses Konzert zu hören. - Habe gestern abend vergessen meinen Frischkornbrei anzusetzen. Heute gibt es also nur selbst gebackenes Vollkornbrot. Dazu öffne ich ein neues Glas Honig. Mit Vorfreude auf leckeres Honigbrot schraube ich den Deckel auf und versuche mein Messer in den Honig einzutauchen. Es gelingt mir nicht. Ich wollte das Messer eintauchen. Nur ganz beiläufig die Gedanken beim Honig. "Honig ist flüssig", schnellt der Gedanke durch meinen Kopf, der gerade so voll von Klang ist, das ich garnicht sicher bin, das mit dem Honig wirklich gedacht zu haben. Das Messer hackt den Honig. Der Honig ist so fest, dass mir die Messerklinge beim Versuch des Heraushebelns des Honigs abbricht. KNACK. Das Larghetto der Romanze entrückt meinen Sinn fürs Alltägliche, wie Messerspitzen und Honig. Ganz leise die Musik, aber ich lausche jeder Note entgegen. Trotz abgebrochener Messerklinge geht es mir so gut, wie es einem Morgenmuffel nur gut gehen kann. Auch die Schränke, die mal wieder feucht abgewischt werden müssten, weil an sämtlichen Frontteilen Fingerfettflecken sind, vergesse ich für die Zeit in der ich dieses Larghetto höre. Dichter Nebel steigt über den Bergen empor. Das Bollern des kochendes Wasser überhöre ich. Das Wasser im Topf auf dem Herd, der wie verrückt am Bollern ist, weil ich vor zwanzig Minuten ein Ei in ein Topf mit kaltem Wasser legte und ich den Herdplattenregler auf höchster Stufe gestellt habe, verdampft langsam gänzlich. Vier Minuten später erwache ich aus der Trance, genau in dem Moment, als der Diamant des Tonabnehmers sich am Schallplattenrillenende leider nicht von alleine erhebt. Klack..., klack..., klack.... So ist das nunmal mit manuell zu bedienenden Plattenspielern. Was tue ich? Die verschmutzte Schrankfront vergesse ich ganz schnell, die Eier mit sicherlich russisch grünem Eigelb lasse ich weiter kochen. Hechte zur Nadel. Stelle den Plattenspieler aus und schalte dafür das Radio ein. Schnödes Gedudel. R a d i o g e d u d e l und ich höre kaum hin. Selbst die 11-Uhr-Nachrichten sind mir einerlei. Benötige ich wirklich jetzt diese Geräuschkulisse? Oder ist es das angenehme Gefühl, das ich zwischen Daumen und Zeigefinger spüre, wenn ich den Radioknopf zärtlich nach rechts drehe und mir dabei was hübsches vorstelle. Warum schalte ich sonst das Radio ein? Ich kann es mir einfach nicht anders erklären, warum ich sonst das Radio einschalte. Ich denke darüber nach, bis das Ei platzt. Nach diesem Ereignis entscheide ich mich nicht mehr darüber nachzudenken, warum ich das Radio angeschaltet habe, sondern rette das Ei. Ich bändige die Hitze des Herdes, weil ich vollends kaputte Eier hasse. Vielleicht ist dieses Ei zum Glück im Unglück nur ein bisschen kaputt, weil ich es noch retten konnte. Aus einem meiner vielen zerplatzten Eiern drang mal weißer Glibber. Es sah aus, als hätte sich das Ei selbst auffressen wollen. Als ich dann versuchte, es zu öffnen, stellte ich fest, dass dort wo Eiweiß sein sollte, jetzt nur noch Wasser drin war. Weißer Glibber, der aus dem Ei lugt und Wasser im Ei – das kann glücklicher nun jetzt nicht sein. Dieses Ei ist ein russisches Ei. Die zerbrochene Messerklinge köpft das Russenei. Grün das Eigelb, grau das Eiweiß. Ich esse es, ohne es zu genießen, denn so ein hartes Ei schmeckt mir nicht wirklich. Aber besser als weißen Glibber essen.
Fünf nach Elf, der Verkehrsbericht. Die Stimme des Radiosprechers knallt garstig in meine Erinnerung an das Leitmotiv des Larghettos aus dem aus dem Konzert. Klang schwingt immer noch im Kopf und jetzt ein für mich unnötiger Verkehrshinweis, weil ich in meiner Küche sitze und nicht im Auto an der im Radio beschriebenen Stelle im Stau stehe. Ich fahre nicht über die Autobahn, wo immer irgendetwas passiert. Die Verkehrsradiostimme hemmt meinen Gedankenfluss. Ich will niemand bemitleiden, der mit dem Auto im Stau steht und will um keinen Preis jetzt Teilnehmer dieses Verkehrs sein. Will nirgends hinfahren. Habe nicht mal ein Auto und mir kann deshalb so etwas nicht passieren. Jetzt sind mir jegliche Klänge des Konzertes entglitten. Gedankenverloren betrachte ich nochmal die zerbrochene Messerklinge.
Fünf nach Elf, der Verkehrsbericht. Die Stimme des Radiosprechers knallt garstig in meine Erinnerung an das Leitmotiv des Larghettos aus dem aus dem Konzert. Klang schwingt immer noch im Kopf und jetzt ein für mich unnötiger Verkehrshinweis, weil ich in meiner Küche sitze und nicht im Auto an der im Radio beschriebenen Stelle im Stau stehe. Ich fahre nicht über die Autobahn, wo immer irgendetwas passiert. Die Verkehrsradiostimme hemmt meinen Gedankenfluss. Ich will niemand bemitleiden, der mit dem Auto im Stau steht und will um keinen Preis jetzt Teilnehmer dieses Verkehrs sein. Will nirgends hinfahren. Habe nicht mal ein Auto und mir kann deshalb so etwas nicht passieren. Jetzt sind mir jegliche Klänge des Konzertes entglitten. Gedankenverloren betrachte ich nochmal die zerbrochene Messerklinge.